Mein bittersüßer Begleiter: Der tägliche Kampf mit der Schokolade
Mein bittersüßer Begleiter: Der tägliche Kampf mit der Schokolade
Von einem, der die Kontrolle hat – und doch verliert.
Disziplin. Ein Wort, das in meinem beruflichen Alltag keine leere Hülle ist, sondern gelebte Realität. Seit Jahren betreibe ich die „Toro Tapas Bar“ im Herzen von Karlsruhe – ein gastronomisches Projekt, das aus Leidenschaft entstand und durch konsequente Hingabe Bestand hat. Wer die Gastronomie kennt, weiß: Der Grat zwischen Genuss und Übermaß ist schmal. Noch schmaler wird er, wenn man sich vornimmt, den eigenen Körper in Form zu bringen. Ich habe diesen Entschluss gefasst – und fast alles unter Kontrolle. Fast.
Denn da ist sie: die Schokolade. Ein unscheinbares Stück Raffinesse, das mehr Macht über mich hat, als mir lieb ist. Während ich täglich Speisen komponiere, Saucen abschmecke, Tapa für Tapa verkoste, gelingt es mir inzwischen, meine Kalorienzufuhr weitgehend im Griff zu behalten. Was jedoch bleibt, ist ein tief verankerter, beinahe kindlicher Drang nach dieser bittersüßen Versuchung.
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Kann denn Schokolade Sünde sein? Foto: schokolade.pro |
Zwischen Herd und Hemmschwelle
Die Toro Tapas Bar ist mein zweites Zuhause. Wer hier arbeitet, weiß: Probieren ist Pflicht. Ein neuer Manchego mit Quittenpaste? Ein hausgemachter Aioli mit leicht rauchigem Paprikaöl? All das muss vor dem Gast auf meiner Zunge bestehen, bevor es in die Küche übergeht. Jede Sauce, jede Textur, jede Balance aus Säure und Fett – sie verlangt Feingefühl, Erfahrung, und ja: regelmäßige sensorische Prüfung.
Das Resultat: Ein ständiger, mikroportionierter Kalorienfluss. An sich harmlos. Aber in der Summe ein unsichtbarer Gegner jeder Diät. Noch vor wenigen Monaten fiel es mir schwer, diese kleinen Häppchen überhaupt zu zählen. Jetzt gelingt es mir erstaunlich gut – mithilfe einer App, viel Disziplin und der Erkenntnis, dass Veränderung nur durch Selbstbeobachtung funktioniert.
Doch bei aller Akribie, bei allem Planen und Kontrollieren: Am Abend, wenn das Licht gedimmt ist, die Gäste gegangen sind und die Küche verstummt, tritt eine ungebetene Gefährtin auf den Plan. Sie liegt schon bereit, in der kleinen Schublade neben der Kaffeemaschine, verborgen unter einer Serviette: Die Tafel dunkler Schokolade. 70 Prozent Kakaoanteil, keine billige Massenware. Es ist eine edle Sorte, ausgewählt wie ein guter Wein. Und doch: kein Feind ist mir näher.
Das Paradoxon des Verzichts
Was ist es, das uns so sehr an Schokolade bindet? Ist es der Zucker, der uns kurzfristig Energie verspricht? Ist es das Fett, das so sanft den Gaumen umspielt? Oder ist es das Zusammenspiel aus Kindheitserinnerung, Belohnungssystem und müder Willenskraft am Ende eines langen Tages?
Wissenschaftlich gesehen ist der Mechanismus längst entschlüsselt: Kakao enthält Stoffe wie Theobromin und Tryptophan – Vorstufen von Serotonin, unserem körpereigenen „Glückshormon“. Es ist also kein Zufall, dass sich Schokolade genau dann meldet, wenn der Tag seinen Tribut gefordert hat. Es ist ein neurochemischer Reflex. Doch Erkenntnis schützt nicht vor Handlung.
Der Moment, in dem ich der Schokolade nachgebe, ist stets von derselben Dramaturgie geprägt: Zuerst das Zögern, dann das Nachdenken, schließlich die kalkulierte Kapitulation. "Nur ein Stück", sage ich mir. "Du hast es dir verdient." Manchmal bleibt es bei einem. Oft nicht.
Zwischen Genuss und Gewohnheit
In meiner Branche hat Genuss nichts mit Exzess zu tun. Ein Gericht kann noch so schlicht sein – wenn es die richtige Balance trifft, ist es vollkommen. Genauso verhält es sich mit der Schokolade. Doch während ich in der Küche das Gleichgewicht meisterhaft austariere, misslingt es mir im Privaten.
Ich habe versucht, Alternativen zu finden: zuckerfreie Varianten, proteinreiche Ersatzprodukte, ja sogar bittere Kakaonibs. Nichts davon erreicht die seelische Wirkung der echten Tafel. Es ist, als würde man Champagner durch Sprudelwasser ersetzen: technisch machbar, emotional ein Desaster.
Die Wahrheit ist: Der Kampf mit der Schokolade ist kein Kampf gegen die Kalorie. Es ist ein Kampf gegen mich selbst – gegen meine Gewohnheiten, meine Müdigkeit, meine abendliche Schwäche.
Der Wert der Kontrolle – und ihr Preis
Viele Gäste meiner Bar fragen mich, wie ich es schaffe, so lange durchzuhalten. Wie ich zwischen Tapas und Tempranillo nicht ständig in Versuchung gerate. Die Antwort ist einfach: Weil ich gelernt habe, dass nicht jede Lust sofort gestillt werden muss. Dass Kontrolle nicht Verzicht bedeutet, sondern ein selbst gewählter Rahmen ist.
Doch bei Schokolade ist dieser Rahmen brüchig. Sie entzieht sich der Logik. Sie wirkt emotional. Sie unterläuft meine Selbstdisziplin nicht frontal, sondern durch ein Lächeln. Vielleicht ist das der eigentliche Grund, warum sie mein Freund und zugleich mein größter Gegenspieler ist: Weil sie so nahbar, so vertraut, so unschuldig scheint.
Ein Fazit ohne Lösung
Ich schreibe diesen Text nicht, weil ich eine Lösung gefunden habe. Ich schreibe ihn, weil ich glaube, dass viele Menschen diesen inneren Zwiespalt kennen. Zwischen dem Wunsch nach Kontrolle und dem Bedürfnis nach Trost. Zwischen einem klaren Ziel – etwa Gewicht zu verlieren – und einem kleinen Moment des Loslassens.
Vielleicht ist es am Ende genau dieser Widerspruch, der uns menschlich macht. Dass wir trotz aller Erkenntnis, trotz aller Willenskraft, kleine Schlupflöcher brauchen, um uns selbst nicht zu verlieren. Meine ist aus Kakao, Zucker und Vanille. Und manchmal, wenn der Tag schwer war, lasse ich sie zu.
Meta-Beschreibung:
Ein Gastronom aus Karlsruhe schildert seinen täglichen Kampf mit der Schokolade – zwischen Disziplin, Genuss und innerer Schwäche. Ein essayistischer Blick auf das Spannungsfeld von Kontrolle und Verlangen.
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Schokolade, Abnehmen, Ernährung, Selbstkontrolle, Genuss, Gastronomie, Kalorien, Versuchung, Essgewohnheiten, Alltag, Tapas Bar, Karlsruhe, Emotionales Essen, Willenskraft, Erfahrungsbericht
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